Nach soviel Kälte und Regen in den letzten Tagen fällt es uns nicht sonderlich schwer die Shetland Inseln in Richtung Norwegen zu verlassen. Das Fährschiff, das aus Island kommt, hält heute Abend zum erstenmal in diesen Sommer auf den Shetlands. Da wir Gasflaschen im Fahrzeug mitführen, kommt beim Einchecken nochmals ein Kontrolleur und überprüft ob wir auch wie vorgeschrieben die Gasflaschen zugedreht und die Armaturen abgeschraubt haben. Im selben Moment als ich die Heckklappe schließen will, spüre ich einen irrsinnigen Schmerz, der wie ein Blitz durch meinen Körper fährt. Urplötzlich kann ich meinen linken Arm nicht mehr nach unten bewegen. Irgendetwas in meinem Rücken spielt mir einen Streich. Mit ausgestrecktem Arm versuche ich mich auf dem Beifahrersitz zu platzieren. Ohne Michaelas Hilfe geht es nicht. Hinter uns stauen sich schon die anderen PKW`s. Michaela fährt unseren VW-Bus in den Schiffsbauch hinein. Sobald ich versuche mich zu bewegen werden die Schmerzen schlimmer. Was sollen wir tun? Umkehren oder auf dem Schiff bleiben und hoffen, dass es einen Arzt gibt. Das nächste Schiff geht erst wieder in einer Woche, aber wenn wir jetzt vor der Abfahrt nach einem Arzt fragen, dann schmeißen sie uns raus, denn kein Kapitän geht das Risiko ein, einen Verletzten mitzunehmen. Wir entschliessen uns zu bleiben und hoffen, dass es besser wird. Es ist bereits 22.00 Uhr als das Fährschiff den Hafen von Lerwick in Richtung Bergen an die norwegische Westküste verlässt. Die Überfahrt dauert ca. 14 Stunden und wir sollten gegen Mittag in Bergen sein. Michaela bringt mich in die gebuchte Gemeinschaftskabine wo auf engsten Raum 9 Liegen mit Matratzenauflage untergebracht sind. Ich versuche mich soweit es geht auf die unterste Liege zu legen. Dies geht jedoch nur halbwegs, wegen der starken Schmerzen. Ich knie am Boden und mein Oberkörper liegt soweit es eben geht auf der Matratze. Hier harre ich nun in dieser für mich einigermaßen bequemen Stellung und warte auf die Rückkehr von Michaela. Sie erkundigt sich nach einem Arzt. Jetzt kommt ein älteres englisches Ehepaar zur Tür herein. Mit Sicherheit halten sie mich für einen Betrunkenen, da diese Fährstrecke von den Norwegern auch gerne als „Partystrecke“ genutzt wird (Alkohol in Norwegen ist extrem teuer). Aber ehrlich gesagt, nehme ich die beiden kaum wahr und was sie von mir denken, ist mir in meinem Zustand auch ziemlich egal. Michaela kommt mit der für mich erschreckenden Nachricht zurück: „Es gibt keinen Arzt an Bord“. Jedoch wird das Bordpersonal versuchen herauszufinden ob eventuell unter den Gästen ein Arzt ist. Da es aber bereits kurz vor Mitternacht ist, sollen wir morgen früh nochmals nachfragen. Wir beschließen, für die Nacht eine Einzelkabine zu nehmen. Ich bin froh als wir alleine in der Kabine sind. Es ist eine Innenkabine ohne Fenster und trotzdem können wir hören wie der Wind da draußen tobt. Das Schiff schaukelt immer mehr. Ein leeres Glas fällt vom Tisch. Michaela verstaut alle Gegenstände die lose umher liegen. Die See wird immer rauer. In der Nachbarkabine, die anscheinend nicht belegt ist, rollen einige Gegenstände von der Linken Seite zur rechten Seite und wieder zurück. Und das geht die ganze Zeit so. Ich mache in dieser Nacht kein Auge zu. Am frühen Morgen lässt der Sturm nach. Michaela fragt noch mal nach, ob ein Arzt gefunden wurde. Nein. Die Dame an der Rezeption nimmt mit dem Schiffsagenten in Bergen Kontakt auf, der uns bei unserer Ankunft in Bergen eine Arztpraxis zuweist. Ich liege im VW-Bus hinten auf dem Bett, während Michaela kreuz und quer durch Bergen rast. Am ersten Krankenhaus angekommen, wir wissen nicht ob das Richtige ist, eilen wir hinein. Die Schmerzen haben immer noch nicht nachgelassen. Michaela managt alles. Im Warteraum sind ca. 25 Personen vor uns. Wir brauchen nicht zu warten. Mit nach oben gestreckten Arm gehe ich durch den Warteraum. Sämtlich anwesende Personen schauen verwundert auf meine seltsame Haltung. Der Arzt erklärt uns, es sei höchstwahrscheinlich eine Muskelverhärtung die zugleich auf einen Nerv drückt. Er verschreibt mir Tabletten. Mehr könne er momentan nicht tun. Ich verlange von ihm, dass er mir doch wenigstens eine Spritze gibt, aber „die Tabletten haben die gleiche Wirkung, die Schmerzlinderung tritt eben nur eine halbe Stunde später ein“, erwidert er. Enttäuscht ziehe ich ab .Wir suchen uns für die nächsten Tage eine feste Unterkunft. Auf einen Campingplatz mieten wir eine Hütte. Langsam lassen auch die Schmerzen etwas nach. Tag für Tag kann ich meinen linken Arm immer weiter nach unten bewegen. Von Erna, einer sehr netten Physiotherapeutin welche uns die Campingplatzbesitzerin empfohlen hat, bekomme ich am darauffolgenden Tag einige Anwendungen die mich einigermaßen wieder in Form bringen. Nun wird es mit der Zeit knapp. Wir haben bereits auf den Orkney Inseln für Michaela einen Flug mit Ryanair von Oslo nach Salzburg gebucht, da das Wireless LAN-System unseres Laptop seit Beginn unserer Reise nicht funktioniert. In Großbritannien haben wir unseren Laptop bei drei verschiedenen Firmen in Reparatur gegeben und keiner konnte den Fehler finden. Michaelas Bruder Christian, der mit seiner Familie in der Nähe von Salzburg lebt, managte vorab alles, so das nach der Ankunft von Michaela einer Reparatur nichts mehr im Wege steht und alles schnellstens erledigt werden kann, da der Rückflug bereits fünf Tage später gebucht ist. Aber nun war es noch nicht so weit. Wir haben noch fünf Tag und die Frage stellt sich, ob ich bis dahin ohne Michaelas Hilfe auskommen werde. Mein Zustand bessert sich langsam. Wir fahren von Bergen aus über Europas größte Hochebene, die Hardangervidda, wo es am 6 Juni in ca. 1000 m Höhe stellenweise noch immer einen Meter Schnee hatte, in Richtung Oslo.
Schön langsam muss ich mich wieder an das Fahren gewöhnen und so fahr ich zwischendurch einige Etappen von ca. 30 Kilometer selber. Einen Tag vor Michaelas Abflug treffen wir südlich von Oslo in Sandefjord ein, wo auch unweit der Ryanair-Flughafen liegt. Nun wissen wir auch, dass ich ohne Michaelas Hilfe auskomme und sie morgen fliegen kann. Ich bringe sie am frühen Morgen zum Flughafen wo sie über London nach Salzburg fliegt.
Am Flughafenkiosk entdecke ich deutsche Zeitungen. Die ersten seit fast drei Monaten. Ich kaufe sie alle. Eine Süddeutsche, eine Frankfurter Allgemeine, einen Focus und eine vier Tage alte BamS. Mein Hunger nach deutschen Zeitungen ist groß und ich habe jetzt die nächsten Tage ja auch Zeit. Ich bleibe noch ein paar Tage in Sandefjord wo ich an der Küste einen wunderschön einsamen Standplatz finde. Der richtige Platz um wieder schnell zu genesen.
Michaela´s Rückflug ist nach Stockholm gebucht, denn zwei Tage nach Michaelas Rückkehr kommen uns Anni und Heinz besuchen, Michaelas Eltern, die ebenfalls in Stockholm landen. So fahre ich die ca. 550 Kilometer gemütlich von Norwegen quer durch Schweden bis an die Ostküste. Meist durch dünnbesiedelte Waldgebiete und an große Seen vorbei. Ich sehe unzählige Elche — aber nur auf Verkehrsschildern. Die Premiere für meinen ersten echten Elch steht noch aus. Bei der Ankunft fragt mich Michaela ob ich schon einen Elch gesehen habe. Ich erzähle ihr von meinem „Erfolgserlebnis“. Wir beschließen „wer den ersten Elch sieht, bekommt vom anderen eine Maß Bier“.
Michaela kommt ohne Laptop zurück. Michaela und Christian waren die letzten Tage nur noch zwecks diesem „Kasten“ unterwegs. Von einem Spezialisten zum anderen. Der Fehler wurde zwar entdeckt aber die Zeit zur Reparatur reichte nicht mehr aus. Dies ist aber auch kein großes Problem. So bringen eben Anni und Heinz in zwei Tagen den Laptop mit. Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns bei dir lieber Christian nochmals recht herzlich bedanken, denn wir wissen, dass Deine eigene Arbeit liegen blieb und Du uns durch Deine Hilfsbereitschaft einen großen Dienst erwiesen hast. Und danke auch für die Updates. Also ein „ Lapin Kulta“ (Lappisches Kalt) auf Dich.
Heute Abend um 22.45 Uhr kommen Anni und Heinz an. Die Zeit bis zur Ankunft vertreiben wir uns mit „Elche suchen“. Haben aber auch diesmal keinen Erfolg.
Pünktlich um 22.45 Uhr, es ist immer noch hell, empfangen wir Anni und Heinz in der Ankunftshalle. Heinz schwärmt immer noch von der grandiosen Sicht vom Flugzeug aus auf die unzähligen Seen und riesigen Waldgebiete.
Wir fahren auf einen Campingplatz wo Anni und Heinz die Nacht in einem kleinen Holzhäuschen verbringen. Wir beide schlafen wie immer in unserem Bus. Die Sonne treibt uns schon recht früh aus den Federn oder besser gesagt aus den Schlafsackdaunen. Wir haben für den heutigen Tag keinen festen Plan und fahren einfach kreuz und quer übers Land. Gott sei Dank gibt es in der Gegend hier nicht allzu viele Gotteshäuser, denn Heinz hat einen Faible für solche.
Einige Kirchen können wir sogar von innen besichtigen, denn hier sind die Kirchen in der Regel werktags fast überall abgeschlossen. Den „ Kirchenhunger“ von Heinz haben wir an diesem ersten Tag ein wenig gestillt. Am Abend kommen wir in ein kleines Dorf namens Grisslehamn mit einem kleinen Hafen an dem reges Treiben herrscht. Einige Männer und Frauen tragen historische Gewänder. Später erfahren wir, dass morgen die alljährliche historische Segelregatta stattfindet, zu den weit draußen in der Ostsee liegenden Aland Inseln. Es werden an die vierzig Boote teilnehmen und die Überfahrt dauert je nach Wetterlage zwischen 4 – 6 Stunden. Die Besatzung der alten Segelboote besteht aus maximal vier Personen und alle müssen historische Gewänder tragen.
Dieses Spektakel lassen wir uns nicht entgehen und beschließen mit dem Fährschiff für die nächsten beiden Tage auf die Aland Inseln zu fahren. Die Aland Inseln bestehen aus über 6000 Inseln und Felsengruppen und liegen Mitten in der Ostsee zwischen Schweden und Finnland. Sie sind Autonomes Gebiet, gehören jedoch zu Finnland und es wird eine altschwedische Sprache gesprochen. Am folgenden Morgen sind wir bereits auf dem Fährschiff, als der Start erfolgt. Die ersten Boote begleitet das Fährschiff ins Meer hinaus bevor es dann volle Kraft in Richtung Aland davon zieht. Die nächsten beiden Tage „grasen“ wir die Hauptinsel ab. Für Heinz ist auch ab und zu mal eine Kirche dabei.
Wieder zurück auf dem Festland beginnt am nächsten Tag der eigentliche Höhepunkt unserer gemeinsamen Reise. Hierfür müssen wir ganz von vorne anfangen, für alle die Liisa nicht kennen. Liisa ist unsere finnische Freundin. Michaela und Liisa haben vor 17 Jahren auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Vista Fjord“ gearbeitet und gemeinsam die Kabine geteilt. Nach dieser Zeit ist Liisa wieder zurück nach Finnland, um einige Jahre später nach München zu ziehen um wieder mit Michaela zusammenzuwohnen, bis Michaela mich kennenlernte. Liisa wohnt und arbeitet heute noch in München und ist bereits vollständiges Mitglied des Mark-Clans.
Als Liisa erfuhr, dass Anni und Heinz uns in Stockholm besuchen werden, hat sie spontan für uns vier eine Schiffsreise von Stockholm nach Helsinki und zurück gebucht, mit persönlichem Stadtführer in Helsinki. Wie wir davon erfuhren, sind wir beinahe aus den Schuhen gekippt. Eine wirklich gelungene Überraschung und eins können wir im Voraus schon sagen, es war für alle ein einmaliges Erlebnis. Zuerst verfransen wir uns im Stadtgebiet von Stockholm. Dann kommen wir endlich im Fährhafen an, es ist der falsche. Also erneut ins Stockholmer Verkehrschaos zurück und zum nächsten Fährhafen. Von der Weite sehen wir schon das riesige Schiff der Viking Line.
Um 17.00 Uhr legt das Schiff ab und am nächsten Morgen werden wir um 9.30 Uhr in Helsinki sein. Beim Betreten unserer Kabine erblicken wir zu unserer Überraschung eine Flasche Champagner und vier Gläser mit einer Grußkarte von Liisa und Ari. Es vergehen drei Stunden bis wir den kompletten Schärengarten (nennt man die vielen Inseln und Felsformationen) vor Stockholm passiert haben. Immer wieder blicken wir vom 35 m hohen Sonnendeck des Schiffes auf die kleinen Inseln mit ihren bunten Häusern. Dazu färbt die tiefstehende Abendsonne alles noch mal in ein besonderes Licht. Die Nacht über wird es auf diesem Breitengrad nicht mehr richtig dunkel und so sehen wir am Morgen die gleiche Sonne wieder in Helsinki. Pävi, eine Freundin von Liisa, welche in Helsinki lebt, erwartet uns schon am Ausgang. Sie hat sich für uns extra einen Tag frei genommen um uns Helsinki zu zeigen. Vom Hafen aus geht’s zu Fuß über den Markt, zur Kathedrale und weiter in die Innenstadt, wo wir dann die Besichtigung per Trambahn fortsetzen.
Am Olympiastadion vorbei und wieder zurück in die Innenstadt wo Ari, ebenfalls ein Freund von Liisa, uns Plätze in einen Lappländischen Restaurant reserviert hat. Es gibt Rentierbraten, Bärensalami, luftgetrocknetes Elchfleisch, Lapplandlachs und zum Nachtisch wird uns Lappländischer Käse in heißer Zimtsahne serviert, dazu Moltebeerenmus. Nichts davon haben wir alle je zuvor probiert, sind aber ganz begeistert von diesen für uns ungewohnten Geschmäckern.
Gestärkt gehts zum Hafen zurück wo wir uns von Pävi verabschieden.
Am darauffolgenden Morgen legen wir um 9.30 Uhr in Stockholm an. An dieser Stelle möchten wir uns, auch in Namen von Anni und Heinz, bei Dir liebe Liisa nochmals herzlichst bedanken. Du hast uns allen zwei tolle Tage beschert, an die wir noch lange denken werden. Auch auf dich ein „ Lapin Kulta“. Herzlichen Dank natürlich auch an Pävi und Ari für Eure Hilfe. Den letzten Tag lassen wir ruhig angehen. Wir glauben auch Anni und Heinz hat nun das Elchfieber gepackt. Jeder schaut und schaut und schaut. Aber nirgends ein Elch. Es war eine tolle Woche für jeden von uns. Wir verabschieden uns von Anni und Heinz am Flughafen und versprechen, vom ersten Elch den wir sehen senden wir ein Foto. Uns zieht es nun weiter nach Norden. Kaum sind wir auf der Autobahn, sehen wir während der Fahrt, rechts neben einer Brücke einen Elch. Michaela sofort ein SMS an Heinzs Handy „Elchalarm“ wir haben den ersten Elch gesehen“. Rückantwort: „ Wo bleibt das Foto“…