Der Süd-Herbst treibt uns schneller nach Norden als uns lieb ist. Die Regenzeit im chilenischen Seengebiet ist bereits im vollem Gang. Die Sonnenschirme und Liegestühle am Strand sind bereits eingemottet. Nur noch wenige Ferienhotels und Campingplätze sind noch geöffnet und man trifft selten noch auf Urlauber. Wir sitzen auf einem Campingplatz am Strand des Lago Villarrica und stellen uns vor, welche Massen von Urlaubern sich wohl noch vor zwei Wochen hier getummelt haben. Jetzt sind wir seit Tagen die einzigen auf diesem Campingplatz. Anders als in Europa gibt es hier keine Nach- oder Nebensaison. Die Urlaubszeit steht und fällt mit den Schulferien.
Die Bäume unter dem unser VW-Bus steht, haben den Regen der letzten beiden Tage von uns ferngehalten. Sobald sich das Wetter bessert wollen wir wieder weiter. Am vierten Tag ist es so weit, es kann wieder los gehen. Nach ein paar Kilometer Fahrt hören wir es schon wieder. Dieses Geräusch welches uns seit letzter Woche verfolgt. Es kommt und geht und wir wissen nicht woher es kommt und wohin es geht. Es macht uns noch wahnsinnig. Um der „Sache“ mal endlich nachzugehen, stelle ich mich hinten auf die Stoßstange und Michaela fährt los. Nach ein paar Metern kann ich das Geräusch bereits lokalisieren. Ich schraube das hintere linke Rad ab und da haben wir des Rätsels Lösung. Die Schraubfeder ist gebrochen. Im ersten Moment ein Schreck. Gott sei Dank können wir noch fahren, wenn auch nur mit Vorsicht. Wir machen den nächsten VW-Händler im 100 Kilometer entfernten Temuco ausfindig und fahren umgehend dorthin. Dieser erklärt uns, er hätte letzte Woche den Vertrag mit VW gekündigt und verweist uns auf einen örtlichen Ersatzteilhändler. Der Ersatzteilhändler kann uns auch nicht weiterhelfen und meint, wir sollen doch ins 370 Kilometer entfernte Puerto Montt fahren, dort befinde sich die nächste VW-Vertretung. Wir fahren noch zu einen weiteren Ersatzteilhändler in Temuco, den wir an der Strecke sehen. Der lässt uns wissen, eine neue Schraubfeder bekommen wir nur über VW-Chile und diese hat ihren Sitz in der Hauptstadt Santiago. Freundlicherweise gibt er uns die Telefonnummer von VW-Chile mit. Wie sich später herausstellt ist die Telefonnummer falsch. Wir fahren in den nächsten Telefonladen und wälzen uns selber durch die dicken Telefonbücher. Als wir endlich die richtige Nummer haben und uns verbinden lassen, meldet sich der Anrufbeantworter und weist uns darauf hin, dass wir außerhalb der Geschäftszeiten anrufen. Somit müssen wir es morgen noch mal versuchen. Am nächsten Tag teilt uns der zuständige Sachbearbeiter mit, dass die Schraubfeder nicht in Chile vorrätig sei und er diese erst in Deutschland bestellen müsse. Selbst als Eilsendung würde die Lieferzeit circa drei Wochen betragen. Nun solange wollen wir eigentlich nicht warten, noch dazu da eine „dreiwöchige Lieferzeit“ schon mal fünfwöchig bedeuten kann. Deswegen starten wir unseren nächsten Versuch. Wir rufen Christian, Michaelas Bruder, an und fragen ob er bei VW in Deutschland Preis und Lieferzeit anfragen und zugleich einen Spediteur finden könnte, der uns dieses Teil so schnell wie möglich nach Chile befördern kann. Umgehend macht sich Christian an die Arbeit und leitet sofort alles in die Wege. Zwischenzeitlich fragen wir beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Santiago an, ob wir die Postadresse benutzen dürfen und das Ersatzteil für einige Tage bei ihnen lagern könne. Die Dame an der Telefonvermittlung teilt uns mit, diese Frage könne diese Woche nicht mehr beantwortet werden, (es ist Freitag vormittags) da der zuständige Mitarbeiter, welcher diese Entscheidung treffen kann, heute verhindert ist. Wir sollen doch freundlicherweise am Montag noch mal anrufen. Auch nach nochmaligem bitten und dem Hinweis „es wäre für uns sehr dringend und wichtig“ erteilt sie uns eine Abfuhr. Unser Nervenkostüm ist kurz vorm zerreisen. Seit zwei Tagen sind wir nur am Fahren und Telefonieren. Kühl bleiben und überlegen. Nächste Möglichkeit, wir rufen beim Honorarkonsulat in Vina del Mar an und tragen unser Anliegen vor. Problemlos und freundlich kommen sie unserer Bitte nach. Wir teilen Christian die Lieferadresse mit und er läßt uns wissen „ die Schraubfeder geht heute noch raus, Lieferzeit ca. 10 Tage“. Lieber Christian, wir danken Dir hiermit noch mal ganz herzlich für Deine sofortige Hilfe ohne wenn und aber! Unsere beiden Familien sind einfach fantastisch!!!
Wir sind immer noch im Seengebiet unterwegs oder wie es im Volksmund heißt: die „Chilenischen Schweiz“. In den letzten beiden Jahrhunderten sind viele Tausende Schweizer und Deutsche hierher ausgewandert wo zuvor nur die Mapuche- Indianer lebten. Nicht umsonst trägt dieses Stück Land den Namen chilenische Schweiz, denn auch landschaftlich hat es mit der Schweiz einige Ähnlichkeiten. Heute leben noch über 150 000 Chilenen deutscher Herkunft in der Region. An den Straßen finden wir Schilder mit Schriftzügen wie „Kuchen y Strudel“, „Bier vom Fass“ oder „Biergarten“ . Wir fahren weiter über die Dörfer. Es ist Herbst und die Ernte ist im vollem Gang. Auch wir nehmen mit, was uns die Natur ernten lässt. Zum Beispiel Brombeeren, diese gibt es hier so viele wie Sand in der Sahara. Im nu hat Michaela ein paar Gläser Brombeer-Marmelade eingekocht.
Reisen heißt auch Leute treffen und kennen lernen. So haben wir uns mit Joli und Ingo, den beiden Schweizern die wir bereits vor zwei Monaten in Feuerland getroffen haben, per Internet verabredet. Wir verbringen zusammen ein paar Tage in der Hosteria La Suizandina, die ebenfalls von einer jungen Schweizer Familie geführt wird. Auf dem dazugehörigen Campingplatz haben wir uns für ein paar Tage eingerichtet. Joli und Ingo haben diesmal einen Gast dabei. Es ist Reni, Jolis Schwester welche die beiden für zwei Monate besucht und mit ihnen mitreist. Wir machen Wanderungen in die umliegenden Araukarienwäldern, von denen manche Bäume ein stolzes Alter von über 1000 Jahre haben. Abends kochen wir gemeinsam und Höhepunkt des Tages ist dann immer das Lagerfeuer an dem wir meist bis Mitternacht sitzen und uns Geschichten erzählen. Reni und Michaela kneten Brotteig. Anschließend stellen sie einen geschlossen Topf mit dem Teig in die Glut des Feuers. Auf den Deckel wird ebenfalls Glut gelegt, so dass der Topf ringsum mit Glut bedeckt ist.
Nach einer guten Stunde ist der Teig gebacken und wir haben am Morgen frisches Brot. Momentan probieren wir noch verschiedenen Mehlsorten aus. Das Ergebnis ist mittlerweile schon recht gut. Da es in Chile und Argentinien nur Weißbrot oder ähnliches zu kaufen gibt, kann man sich das Brotessen hier abgewöhnen. Deshalb macht es auch richtig Spaß lieber selber zu backen auch wenn das Brot mit vielen Körnern natürlich, manchmal etwas dunkel wird. Daher der Name „Schwarzbrot“ „SMILEY“
Da wir nun bei Schweizern und mit Schweizern zusammen sind, darf ein typisches Schweizer Gericht dazu natürlich nicht fehlen. Wir reservieren einen Tisch in der Hosteria zum Raklette-Essen. Soviel Schweiz in Südamerika haben wir nicht erwartet! Jeder Tag geht viel zu schnell vorbei und so werden aus ein paar Tagen ganze acht Tage. Es gibt einfach viel zu viel zu erzählen. Joli, Reni und Ingo bleiben noch ein paar Tage in der Araukarien-Region. Wir fahren weiter Richtung Westen an den Pazifischen Ozean. Urplötzlich ändert sich die Vegetation. Ab sofort ist nicht mehr grün die tonangebende Farbe sondern braun. Palmen wachsen am Straßenrand und ein warmer Wind bläst vom Meer her. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir dann endlich die Küste.
Um einen Campingplatz oder einen günstigen Übernachtungsplatz zu suchen, bleibt uns keine Zeit mehr. Wir stellen uns in einem kleinen Fischerdorf direkt an den Strand mit der Hoffnung, dass uns keiner sieht und wir die Nacht über Ruhe haben. Bis Mitternacht geht alles gut, dann werden wir aus dem Schlaf gerissen. Die Dorfjugend hat wohl kurzfristig eine Mitternachts-Disco-Party organisiert und wir stehen mit unserem Bus mitten drin. Es wird schon hell als die letzten den Strand räumen. Halbausgeschlafen ziehen wir weiter nordwärts an der Küste entlang auf rotbraunen Erdstraßen unterwegs.
Vier Ochsengespanne kommen uns entgegen, die Karren mit Kartoffeln überladen. Es ist Sonntag frühmorgens. Wo wollen die denn heute um die Zeit schon hin? Alles dreht sich zur Zeit um die Ernte. An einer alten Dreschmaschine bewundern wir, wie es die Erntehelfer in der staubigen Luft den ganzen Tag nur so aushalten. Einige tragen zum Schutz Brillen und Staubtücher.
Weiter geht es bis Iloca, einem kleinen Ort am Meer, wo wir übernachten. Am Morgen kommen die Fischer vom Fang zurück. Die Boote werden mit Ochsengespannen an Land gezogen. Um die Fische in den Netzen schneller aussortieren zu können, werden die Panzer der in großer Anzahl verfangenen Krebse, mit Holzstöcken zerschmettert. Die wenigen gefangenen Fische kommen in einen separaten Behälter. Die Möwen sowie die Straßenhunde versammeln sich um die Boote und warten auf ihr Frühstück.
Im ganzen Dorf richt es nach Fisch. Nach einer halben Stunde ertragen wir den Gestank nicht mehr und haben wortwörtlich „ die Schnauze voll“ und flüchten aus dem Dorf. Wir fahren weiter über die Dörfer. Mal Schotterpiste, mal Teerstraße. Oft sind die Schotterpisten besser zu befahren als die kaputten Teerstraßen mit ihren Schlaglöchern. Wieder ändert sich die Landschaft. Nun Obstplantagen, Weingärten und mittendrin prachtvolle Herrenhäuser. Es ist wirklich eine fruchtbare Gegend südwestlich von Santiago. Alles was hier wächst wird täglich frisch an der Straße verkauft. Für Obst- und Gemüseesser ein wahres Paradies. Nüsse, Trauben, Tomaten, Kartoffel, Zwiebeln, Zitronen, Orangen, Datteln, Erdbeeren, Mais und vieles mehr. 4 Kilogramm Avocados z.B. kosten umgerechnet 1,40 EUR.
Auch eines der vielen Weingüter wollen wir besuchen. Wir fahren direkt mit dem VW-Bus durch einen der Weingärten. Die Erntehelfer erblicken uns, es sind zumeist Jugendliche. Sie lassen die Arbeit liegen, kommen auf uns zu, bestaunen unseren VW-Bus und fragen uns Löcher in den Bauch. Als Geschenk schneiden sie frische Traubenzöpfe ab und geben sie uns mit auf den Weg. Eine herzliche Begegnung.
Mittlerweile sind einige Tage vergangen und unser Ersatzteil aus Deutschland müsste eigentlich schon im Konsulat in Vina del Mar liegen. Täglich rufen wir an nur um zu erfahren, dass es noch nicht da sei. Wir füllen unseren Lebensmittelvorrat nochmals auf und nisten uns für ein Paar Tage auf einen Campingplatz nördlich von Vina del Mar ein, denn es steht das Osterwochenende vor der Tür. Auch am Gründonnerstag keine Lieferung ans Konsulat. Gerne hätten wir die Schraubfeder noch vor Ostern erhalten und ausgewechselt. Etwas enttäuscht sind wir über die gläubigen Katholiken Chiles. Selbst am Karfreitag wird gearbeitet und die Kirchen sind verschlossen. Am Ostersamstag erfahren wir, warum die Chilenen nicht mehr gläubig und die Kirchen verschlossen sind. Julio, der
Campingplatzbesitzer klärt uns auf, und meint „mit Ostern müsst ihr noch eine Woche warten“. Tja das ist das Leben eines Reisenden, man verliert die Wochentage aus den Augen und wähnt schon Ostern wo erst Weihnachten ist.
Am Dienstag endlich die positive Nachricht aus dem Konsulat. Die Schraubfeder ist da. Nichts wie hin und das lang ersehnte Teil abholen. Am gleichen Tag bauen wir sie auf dem Campingplatz noch ein. Nun sind wir wieder gerüstet für die vielen Schotterpisten. Am Morgen fahren wir weiter auf der Panamericana Richtung Norden. Unser Tagesziel ist die Küstenstadt La Serena. Es ist bereits spät nachmittags und wir brauchen noch einen Stellplatz für die Nacht. Plötzlich merke ich mit dem Gangschalthebel stimmt etwas was nicht. Ich probiere alle Gänge durch und stelle fest, es lassen sich nur noch der dritte, vierte und fünfte Gang schalten. Sch…. . Bis zur nächsten größeren Stadt – La Serena – sind es noch gute 40 Kilometer mit mehreren Steigungen und in spätestens zwei Stunden wird es dunkel. Es ist still, keiner sagt was und jeder hofft , dass wir alle vor uns noch liegenden Berge mit dem 3. Gang hoch kommen und nicht in der Dunkelheit irgendwo stehen bleiben. Von der nahe gelegenen Küste zieht Nebel auf. In der Ferne sehen wir ein überdimensionales Kreuz am Horizont. Es ist das Kreuz des Dritten Jahrtausends der Stadt Coquimbo, das über dem ganzen Ort thront mit einer beachtlichen Höhe von 92 Metern.
Am Ortseingang angekommen suchen wir die erste Tankstelle auf und fahren zur Diagnose unseren VW-Bus auf eine Hebebühne. Auf den ersten Blick sehen wir es, der Kugelkopf des Schaltgestänges für die ersten beiden Gänge und den Rückwärtsgang ist gebrochen. Der Mechaniker der Tankstelle meint, hier kann auch er uns nicht weiterhelfen, aber er kenne jemanden der das richten könnte. Ein kurzer Anruf und ein paar Minuten später stehen zwei weitere Mechaniker da. Sie bauen das Gestänge aus, verschwinden damit so schnell wie sie gekommen sind und eine halben Stunde später kommen sie mit dem reparierten Teil zurück. Sie bauen es ein und siehe die Gänge funktionieren wieder alle einwandfrei. Wir bezahlen umgerechnet 15,00 EUR. Nachdem es bereits finster ist, erlaubt uns der Tankstellenpächter die Nacht auf dem Tankstellengelände zu verbringen.
Am Morgen beschließen wir im kleinen Serviceroom der Tankstelle zu frühstücken. Wir sind nicht die einzigen. Vor dem Eingang steht ein feuerroter Brasil-VW-Käfer, der schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Der Fahrer sitzt vertieft in seiner Zeitung – glauben wir – an einem kleinen Seitentisch und verzehrt zwei belegte Toastbrote,. Er beobachtet unsere etwas unentschlossene Bestellung, steht auf, zeigt uns seine Toastbrote und meint in englischer Sprache „ Would you like to have toasted bread like this, they are tasting very good“. (Möchtet ihr Toastbrote so wie ich sie esse, sie schmecken hervorragend). Schnell kommen wir mit ihm ins Gespräch. Er stellt sich als Oscar Fiedler vor und ist der Kulturbeauftragte der 160 000 Einwohnerstadt Coquimbo. Ein paar Brocken Deutsch hat er auch auf Lager, da sein Vater gebürtiger Nürnberger ist, der Rest der Unterhaltung erfolgt in Englisch. Er lädt uns in sein Büro ein und erzählt von seiner Arbeit.
Oscar ruft seinen Freund Raul an, welcher Deutsch spricht und sich für uns den ganzen Tag Zeit nimmt um uns Coquimbo und La Serena zu zeigen. Raul war in den Siebziger Jahren aktiver Allende-Anhänger und musste nach dem Millitärputsch Chile verlassen; er kam nach Deutschland ins Exil. Er sagt „ die Deutschen waren sehr nett und hilfsbereit, deshalb möchte ich von der Hilfsbereitschaft etwas zurückgeben“. Eine Familie hat ihn damals aufgenommen und die Kinder waren wie Geschwister zu ihm. Er erzählt „ Hans ist wie mein Bruder“ und sie besuchen sich auch heute noch. Raul lebte fast 30 Jahre in Deutschland, ging dann aus gesundheitlichen Gründen zurück ins wärmere Chile. Und Hans, Raul´s Bruder ist mittlerweile erster Stadtrat und Stellvertretender Oberbürgermeister von Hannover.
Elisa, Rauls Frau, hat uns am Ostersonntag zum Nachmittagstee geladen. Zusammen mit ihren spanischen Freunden genießen wir Tee, Torte und Kuchen. Raul zeigt uns sein Abschiedsgeschenk, welches er von seinen deutschen Freunden bekommen hat als er vor vier Jahren nach Chile zurück ging. Es ist eine dicke Mappe mit Berichten, Zeitungsausschnitten und Fotos von all den Hilfsaktionen bei welchen Raul in seiner Freizeit aktiv beteiligt war. Eines seiner größten Hilfsprojekte war die Einrichtung einer Nicaraguahilfe. Raul hat ein rießengroßes Herz und wir sind gerührt und dankbar für seine Hilfsbereitschaft welche wir am eigenen Leibe spüren konnten. Auch als wir am nächsten Tag Probleme mit der Werkstatt haben, ein Anruf und Raul ist in fünf Minuten da. Liebe Elisa und Raul, wir wollen nochmals Danke sagen für Eure tolle Gastfreundschaft und große Hilfsbereitschaft!
Wieder ist es Zeit um aufzubrechen und Neues zu erleben. Bei La Serena fahren wir ins Valle d`Elqui, ein fruchtbares Tal wo auf den bewässerten Feldern entlang des Flusses und an den Hängen der Wüstenberge ein Großteil des chilenischen Weines wächst. Hier gedeihen auch
die sonnig-süßen Muskatellertrauben aus dem der Pisco, das chilenische Nationalgetränk, gebrannt wird.
Unser Ziel ist eigentlich das Nachbartal Valle del Rio Hurtado wo wir hoffen, nochmals unsere Schweizer Freunde zu treffen, denn auch sie wollten in dieses Tal fahren. In unserer Landkarte ist ein kleiner Weg eingezeichnet, der die beiden Täler über die Berge verbindet. Wir tauchen in eine andere Welt ein. Wüstenkordillere, Kakteen, Staub, Hitze, keine Menschen, nichts.
Nach zweieinhalb Stunden Fahrzeit und kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir das Andenbauerndorf Hurtado. Von hieraus sind es nur noch ein paar Kilometer zum Treffpunkt Hazienda Los Andes. Joli, Reni und Ingo treffen wir erst am anderen Tag. Auch wenn wir dieses Mal nur einen Tag Zeit für einander haben, freuen wir uns alle riesig und haben viel zu erzählen. Da Reni in drei Wochen nach Hause fliegt, haben die drei noch ein straffes Programm vor sich und fahren am anderen Tag weiter in den Norden Chiles.
Für uns wird es Zeit nach über sechs Wochen wieder mal das Land zu wechseln. Wir wollen in den Norden Argentiniens. Der kürzeste Weg führt über den Andenpass Agua Negra. Die Passhöhe markiert zugleich die Grenze zwischen Chile und Argentinien und liegt auf 4779 m über den Meeresspiegel. Der Pass ist nur von Dezember bis Mai geöffnet. In den Süd-Wintermonaten ist er auf Grund der starken Schneefälle gesperrt. Wir fahren bis zum Talende des Valle del Elqui wo wir an der letzten Tankstelle das Fahrzeug für die Höhe vorbereiten. Luft, Wasser, Öl kontrollieren, den Dieselkraftstoff mischen wir einen Antifrostzusatz bei, damit wir in der Höhe bei den Minustemperaturen keine Probleme bekommen. Die chilenische Grenzabfertigung sowie die Zollstation liegen bei der letzten Siedlung am Talende und somit 100 km vor der tatsächlichen Grenze die am Pass oben verläuft . Auch die argentinische Grenzstation liegt erst ca. 80 Kilometer weit im Landesinneren vorm ersten Dorf. Die Grenzpolizisten wollen von uns wissen ob wir am Pass übernachten oder noch heute direkt nach Argentinien einreisen. Wir teilen ihnen mit, dass wir an einer Lagune in ca. 3000 m Höhe die Nacht verbringen und dann am anderen Morgen den Pass überqueren und nach Argentinien einreisen wollen.. Diese Informationen werden den argentinischen Grenzpolizeikollegen mitgeteilt. Sollten wir morgen die argentinische Grenzstation nicht passieren, würden sie einen Suchtrupp losschicken. Es kommt immer wieder vor, dass Erdrutsche abgehen und die Straße nicht mehr passierbar ist oder Reisende mit der Puna (Höhenkrankheit) Probleme bekommen.
Anfangs windet sich die Schotterstraße wie eine Schlange durch die Bergflanken und wir merken kaum, dass wir an Höhe gewinnen.
Die Farben des Gesteins ändern sich ständig in allen möglichen Pastellfarben. Mal Ocker, mal Kaminrot oder Samtgrün in den unterschiedlichsten Marmorierungen.
Die letzen Sonnenstrahlen verstärken die Farbtöne nochmals, gerade noch rechtzeitig beziehen wir unser Nachtlager an der Lagune. So nah waren wir den Himmel noch nie.Ein grandioser Sternenhimmel in fast schon unheimlicher Stille verabschiedet uns an diesem Tag und die erwartete Kälte bleibt in der Nacht aus. Am Morgen haben wir beide leichte Kopfschmerzen. Dies sind die ersten Symptome der Puna. Wir fahren weiter durch ein Hochtal nach dem anderen und wieder klettert die Straße fast unbemerkt hoch. Ringsum überall Berge, es kommt uns vor als seien wir ganz alleine mit dem Auto auf dem Mars unterwegs.
Von der Ferne sehen wir eine lange Staubfahne die von einem Auto hochgewirbelt wird. Gestern war es ein Auto und heute sind es drei Autos welchen wir begegneten. Die ersten Büßerschneefelder, der Höhenmesser zeigt die 4000 m Marke an. Nochmals 779 m die auch unserem VW-Bus zu schaffen machen. Der Leistungsabfall in der sauerstoffarmen Luft hier oben ist enorm. Hoffentlich hält „Er“ durch. Im letzten Abschnitt steigt die Schotterstraße nochmals extrem an. Rechts geht es 800 Meter den Berghang hinunter. Dann haben wir es geschafft, 4779 Meter Passhöhe und zugleich Grenze. Außer ein paar Steinmonumente und Schildern mit den Schriftzügen der beiden Ländern gibt es nicht viel zu sehen. Michaela möchte gerne vorm Bus ihre Tasse Tee trinken doch der Wind ist so stark, dass sie ihr Vorhaben lieber gemütlich im Bus zu Ende bringt.
Michaelas Kopfschmerzen sind verflogen. Bei mir kommt ein weiteres Symptom der Puna dazu, Übelkeit. So halten wir uns nicht mehr lange auf und beginnen mit der Abfahrt. Nun geht es 80 Kilometer ständig bergab bis zur argentinischen Grenzstation. Ich schwöre mir, so schnell keinen Andenpass mehr zu überqueren. Mit jedem Meter nach unten geht es mir besser. Die Landschaft auf der argentinischen Seite des Passes ist nicht mehr ganz so spektakulär wie auf der chilenischen Seite aber trotzdem sehenswert. An der Grenzstation hatte man uns schon erwartet: „Ah, das sind die zwei Deutschen“. Bemerken möchten wir, dass wir von den argentinischen sowie von den chilenischen Grenzbeamten sehr nett behandelt wurden. Von argentinischen Grenzpolizisten hatten wir ja leider schon anderes erlebt. Im Nachbardorf Rodeo haben wir uns erstmal für zwei Tage auf einem Campingplatz mit großen schattigen Trauerweiden eingemietet und erholen uns von den Strapazen.
Am Abend bei Bier und Wein planen wir schon wieder die nächste Andenüberquerung. Fürs Erste bleiben wir hier in Argentinien. Hier im Norden Argentiniens ist das Klima sehr heiß, aber mehr davon erfahrt ihr im nächsten Reisebericht.
Michaela und Raimund