Samstagvormittag, die vom Wind zerfranste argentinische Flagge flattert am Fahnenmast. Wir sind endlich an der argentinisch-chilenischen Grenze angekommen, kurz vor Feuerland. Auf den ersten Blick auf der Landkarte glaubt man Feuerland ist fest mit „Restargentinien und Chile“ verbunden. Tatsächlich ist Feuerland eine große Insel die von einer Meeresstraße, die sogenannte Magellanstraße, vom Festland getrennt ist. Der östliche Teil der Insel gehört zu Argentinien, der restliche Teil zu Chile. So muss der Reisende – von Argentinien kommend – zuerst ca. 220 Kilometer chilenisches Gebiet durchqueren, einschließlich einer kurzen Fährpassage über die Magellanstraße, bevor er auf dem argentinischen Teil Feuerland´s ankommt.
Wir bilden das Ende der Autoschlange die am Schlagbaum steht. Vor uns ca. 30 PKW´s und einige Lastwägen. In einem Gebäude werden an vier Schalter die Grenzformalitäten bearbeitet und trotzdem dauert das ganze eine Ewigkeit. Dies ist nur die Ausreise aus Argentinien. Nach ein paar hundert Metern Fahrt durchs Niemandsland folgt Teil zwei, die Einreise nach Chile. Auch dies dauert wieder ewig lange. Nachdem unsere Papiere mehrfach abgestempelt wurden, wollen wir losfahren. Ein zotteliger Typ mit Spiegelsonnenbrille kommt auf uns zu und will in den Bus. Michaela öffnet die Tür und versucht sich mit ihm zu verständigen. Ich halte ihn lediglich für einen Störenfried und will ihn gerade rausschmeißen, da klärt Michaela den Irrtum gerade noch rechtzeitig auf und hält mich zurück. Es ist der Grenzbeamte welcher für die Lebensmittelkontrolle zuständig ist. Es ist verboten Obst, Gemüse und Fleisch nach Chile einzuführen. Unsere erst gestern gekauften Tomaten nimmt er dann auch gleich mit. Somit hat er sich wahrscheinlich sein Abendbrot gesichert. Für die gesamte Grenzüberschreitung haben wir 3 ½ Stunden benötigt. Uns graut schon jetzt vor der nächsten Grenzüberschreitung in umgekehrter Reihenfolge, die heute noch am späten Nachmittag erfolgt. Die nächsten 50 Kilometer bis zur Fähre geht es zügig voran. Dann folgen 170 Kilometer ruppige Schotterpiste bis zum nächsten Grenzübergang. Nun Ausreise Chile – Einreise Argentinien. Diesmal benötigen die Grenzbeamten für die Abfertigung nur die Hälfte der Zeit. Unser Tagesziel werden wir durch die lange Dauer der Grenzabfertigung heute nicht mehr erreichen. Und so beschließen wir kurz vor Rio Grande am Strand zu übernachten. Durch die Dünen suchen wir uns eine Zufahrt zum Strand. Kurz nicht aufgepasst und schon ist es passiert. Wir sind von der Piste abgekommen und die Vorderräder des VW-Busses graben sich bis zur Achse im Sand ein. Es wird schon dunkel. Ich überlege, ob es nicht besser wäre den Bus morgen „auszugraben“. Michaela drängt aber es noch heute zu erledigen und so machen wir uns an die Arbeit. Los geht’s. Michaela aufs Dach, Kiste auspacken, Sandbleche runter und Klappspaten im Dauereinsatz. Wir wechseln uns ab. Schaufeln, Sandbleche unterschieben und das ganze wiederholen wir mehrmals bis wir endlich nach gut 1 ½ Stunden wieder festen Boden unter den Rädern haben. Wir sind verschwitzt und müde. Das Abendessen fällt heute aus, aber bei ein kühlen Bier aus dem Kühlschrank lachen wir schon wieder über die „Aktion“. Dies war nach der eintönigen „Pampafahrerei“ in den letzten Tagen wirklich ein abwechslungsreicher Tag.
Seit gestern sind wir nun auf Feuerland. „ Feuerland – Weite, Einsamkeit, Freiraum für Träume“ steht in einem alten Reiseführer, welchen ich bei meiner ersten Südamerikareise vor fünfzehn Jahren dabei hatte. Das stimmt nur zum Teil, denn in Sachen „Einsamkeit“ hat sich seit damals einiges getan. Wer den kleinen verträumten Fischerort Ushuaia von einst in Erinnerung hat und ihn jetzt wieder sieht, wird erstaunt sein. Zählte der Ort 1975 noch nicht mal 6000 Einwohner leben heute über 60 000 Menschen hier. Und der Zuzug ans Ende der Welt ist noch nicht am stagnieren. In den Vororten werden ständig neue Siedlungen angelegt. Dazu kommen die Massen an Touristen. In den Sommermonaten legen im Hafen von Ushuaia an die 80 Kreuzfahrtschiffe an und bringen 100 000 Touristen, zusätzlich zu den tausenden von Bus- u. Flugreisenden.
Auch die MS Delphin, das Schiff auf welchem Michaela zuletzt gearbeitet hatte, kommt von einer Antarktisreise zurück und ankert für zwei Tage in Ushuaia. Schnell arrangiert sie ein Treffen mit einigen ihrer Arbeitskollegen und wir schlemmen mit ihnen in einem fantastischen Asado-Grill-Restaurant. Vom Tisch aus kann man zusehen, wie die ganzen Lämmerhälften schön langsam über dem Feuer gar werden.
Auch die rießigen Rindersteaks sind nicht zu verachten. Ein Alptraum für jeden Vegetarier oder aber – das Paradies für Fleischesser. Im Allgemeinen lieben und essen die Argentinier für ihr Leben gerne Fleisch. Immer und überall wird gegrillt. Ein Argentinier verzehrt pro Jahr im Schnitt 61 kg Rindfleisch. Im Vergleich dazu kommt der Deutsche gerade mal auf 13 kg. Auch wir sind seit einigen Tagen auf den Geschmack gekommen und grillen immer öfters. Das Kilo Rinderfilet kostet umgerechnet 3 Euro. Soviel zum Fleisch und Argentinien.
Wir verbringen noch ein paar nette Stunden mit Michaelas Kollegen im Park bei Dosenbier und herrlichem Sommerabendwetter, das selbst für diese unwirtliche Region nicht der Norm entspricht. Zwei Tage vor unserer Ankunft hat es hier noch geschneit.
Von Ushuaia aus besuchen wir die Estancia Haberton und ein kleinen Fischerdorf, namens Puerto Almanza, fahren dann weiter ins Landesinnere auf der Suche nach dem „einsamen Feuerland“. Wir biegen von der Routa National No.3 links ab und folgen einer Schotterpiste für ungefähr 40 Kilometer. Laut Karte sollten wir eigentlich vor dem LagoYehuin stehen. Jedoch weit und breit kein See, auch keine Beschilderung. Wir überlegen, umkehren bringt auch nichts. Wir fahren also weiter und gleich um die nächste Baumecke hat er sich versteckt. Ein wunderbarer See mit glasklarem Wasser. Weit im Westen erkennt man die Gletscher und die verschneiten Gipfel der Darwin Cordillere. Am Ufer steht ein verlassenes und abgebranntes Hotel. Kein Mensch, keine Seele, nichts. Eine etwas gespenstische Atmosphäre umgibt uns. Es herscht Totenstille. In diesem Moment glauben wir die einzigen Menschen auf diesem Planeten zu sein.
Der Wind hat sich gelegt und nun erwärmen uns sogar ein paar Sonnenstrahlen.
Michaela hört Geräusche, aus der Richtung von der wir gekommen sind. Aber bei so viel Stille kann man ja schon mal fantasieren. Nach einiger Zeit wieder das gleiche Geräusch, nun höre ich es auch. Es ist ein Fahrzeug. Wenige Sekunden später kommt ein Geländewagen auf uns zu. Es sind Joli und Ingo aus Luzern mit ihrem Toyota. Wir kennen uns bereits vom Campingplatz in Ushuaia. Dick eingepackt in Jacken sitzen wir dann abends bei heißem Tee und Kaffee am See zusammen und unterhalten uns über Gott und die Welt, bis uns die Kälte in die Fahrzeuge treibt.
Am Morgen trennen uns unsere Wege wieder. Sie bleiben noch einen Tag und wir wollen weiter nach Norden und dann auf den chilenischen Teil Feuerlands. Die Lebensmittel werden noch mal aufgefüllt, denn in Argentinien sind sie wesentlich billiger als in Chile. Da einem Gemüse, Obst und Fleischwaren an der Grenze Argentinien-Chile abgenommen werden, kommen diese nun aus dem Kühlschrank raus und werden für kurze Zeit in unserer Bord-Toilette eingelagert, die wir sowieso zweckentfremdet als Lebensmittellager benutzen. Nun hoffen wir, dass der Lebensmittelkontrolleur einen Blick in den Kühlschrank bevorzugt. Was sich als richtig erweist; nicht nur das, er sieht unsere Toilette und sagt wissend: Ah el bano, muy bien. (Ah eine Toilette, sehr gut!)
Wieder geht es über Stunden über staubige Schotterpisten. Wir fahren an abgesperrten Mienenfelder vorbei, die noch immer an den „Beihnahe-Krieg von 1978“ erinnern. Auf den Verbotsschilder steht auch in deutscher Sprache“ Betreten verboten“. Damals brach ein Streit um drei winzige bedeutungslose Felsen vor der Küste im Südosten Feuerlands aus. Die Argentinier sowie auch die Chilenen beanspruchten die Eilande für sich. Erst dem Papst gelang es, im Jahre 1985 den Konflikt zwischen den beiden Ländern zu schlichten. Übrigends, beide Staatsoberhäupter waren streng gläubig und gehörten der katholischen Kirche an. Gegen Abend erreichen wir das Meer, wo wir unser Nachtlager einrichten. Da es kaum Bäume gibt, sammle ich Treibholz für unser Lagerfeuer.
Es gibt genug am Strand. In der Zwischenzeit legt Michaela unsere geschmuggelten argentinischen Rindersteaks in Knoblauch ein. Diese schmecken heute natürlich besonders gut. Zwei Fischer, deren Kutter vor Anker liegt, sehen das Feuer und kommen mit ihrem kleinen Ruderboot zum Strand. Es sind zwei junge Indios, welche auf dem Fischkutter arbeiten. Trotz ihres für uns schwierigen Dialektes und unseren spärlichen Spanischkenntnissen kommt eine Unterhaltung zu Stande. Zur Not hilft das Wörterbuch oft weiter. Die beiden Fischer müssen aber morgen früh raus und rudern wieder zurück.
Wir nehmen Abschied von Feuerland. Von Porvenir aus bringt uns ein kleines Fährschiff in 2 ½ Stunden über die Magellanstraße. Ein letztes Mal blicken wir nach Feuerland zurück Bei unserer Ankunft in Punta Arenas hängen tiefe Wolken über der Stadt. Diese Stadt nennt sich auch „das Tor zur Antarktis“. Von hier aus fahren in den Süd-Sommermonaten Kreuzfahrtschiffe zum 6. Kontinent. Punta Arenas ist nicht gerade ein Schmuckstück. Auf uns jedenfalls macht diese 120 000 Einwohner Stadt keinen besonderen Eindruck.
Unser Weg führt uns weiter in Richtung Norden über Puerto Natales zum Torres del Paine-Nationalpark. Unterwegs besuchen wir noch eine kleine Kolonie von Magellan-Pinguinen, die den selben Namen tragen wie die Meeresstraße an der sie leben. Wenn es hier Winter wird flüchten die Pinguine nach Brasilien.
Auch wir flüchten weiter nach Norden mit der Hoffnung, dass es endlich wärmer wird und aus dem Sturm wenigstens ein gemäßigter Wind wird. Bei Cerro Castillo sehen wir auf einer Estancia den Gauchos – so nennen sich die Cowboys Südamerikas – bei ihrer Arbeit zu. Heute werden die Kälber gebrandmarkt.
Sie werden mit Lassos eingefangen und von zwei Gauchos festgehalten. Dann wird den Kälbern ein rotglühendes Brandeisen mit dem Zeichen der Estancia in die Flanke gedrückt. Nichts für schwache Nerven; die Gauchos gehen mit den Jungtieren nicht gerade zimperlich um.
Wir wären gerne noch geblieben doch der Wind treibt uns ständig Staub in die Augen. Er wird zum Orkan. Die Wagentür lässt sich kaum noch öffnen. Ohne Übertreibung !!! Erst im Wagen sind wir in Sicherheit. Wer jetzt noch mal zum Pinkeln raus muss hat verloren. Der Wind kommt aus allen Richtungen. Erst gegen Abend und im Torres del Paine – Nationalpark angekommen, lässt er etwas nach.
Schon bei der Zufahrt zum Nationalpark dürfen wir die Vielfalt der Tierwelt bestaunen. Guanakos-Herden und Nandus, die südamerikanische Straußenart, grasen unbeeindruckt von den vorbeifahrenden Pkw`s neben der Straße. Drei Condore kreisen am Himmel und eine kleine Gruppe von Flamingos stolzieren am Seeufer entlang. Auch Pumas sollen hier leben, einen zu Gesicht zu bekommen ist eher unwahrscheinlich. Zum Übernachten sind mehrer Plätze im Nationalpark ausgewiesen. Von unserem Standplatz aus haben wir eine tolle Aussicht auf den Cuernos del Paine, den gewaltigen Gebirgsstock und das Herz des Nationalparks.
Am Abend ist es recht kühl und uns vergeht die Lust unter freiem Himmel zu kochen. So gibt es wieder mal kalte Küche. Wir verkriechen uns in unsere warmen Betten und träumen von einem besseren Wanderwetter für Morgen.
Eine Wetterbesserung ist nicht eingetreten und ist auch nicht in Sicht. Kälte, Wind und Regen wechseln sich ab. Am dritten Tag geben wir dann auf und fahren weiter nach Argentinien.
Es geht auf die Cuarenta ( Routa National No. 40) nordwärts durch das patagonische Tafelland bis El Calafate. Dann die Stichstraße zum Perito Moreno-Gletscher. Das Patagonische Innlandeisfeld mit seinen abfließenden Gletschern ist das größte Eisfeld der Welt, wenn man mal von den beiden polaren Eisregionen und Grönland absieht. In unmittelbarer Nähe des Perito Moreno-Gletscher beobachten wir wie haushohe Eisbrocken von der Gletscherkante abbrechen und unter lautem Getöse in den Lago Argentino stürzen. Ein wirklich gigantisches Naturschauspiel das uns die patagonische Naturbühne hier vorführt.
Hier treffen wir wieder Petra und Richhard aus Schrobenhausen die 3 Monate mit ihrem VW-Bus unterwegs sind. Kennengelernt haben wir uns bereits im Torres del Paine-Nationalpark.
Gemeinsam fahren wir zum Lago Roca wo wir ein paar Tage zusammen verbringen. Der tägliche Höhepunkt ist immer das abendliche Grillen am Lagerfeuer bei eisiger Kälte. Durchhalten ist angesagt. Später Wärmeflaschen und Standheizung.
Nachts hören wir ein Donnern aus der Ferne und wissen es ist kein Gewitter, sondern nur wieder ein weiterer Eisblock der sich von der Gletscherkante abgelöst hat und in den Lago Argentino stürzt. Dann schlüpfen wir noch tiefer unter die wärmende Bettdecke.
Nun soviel für dieses Mal.
Michaela und Raimund