HEL Nur noch ein paar Kilometer bis Oulainen. Ein kleiner Ort, mit ca. 8000 Einwohner, mitten in Finnland. 830 Kilometer sind es zur Eismeerküste im Norden und 550 Kilometer bis nach Helsinki im Süden.
Kanturinkatu Nr. 9, wir sind da. Matti, Liisas Papa, winkt schon von weitem. Wir haben uns ja schon Monate im Voraus bei Elsa und Matti angesagt. Nun hat es endlich geklappt. Eigentlich wollte auch Liisa extra aus München zu ihren Eltern kommen, aber auf Grund der Ferienzeit werden Kollegen mit Kinder bei der Urlaubplanung bevorzugt und sie bekam nicht frei. Außer Elsa und Matti warteten auch noch einige Pakete von unserer Oma, Eltern und Geschwister mit solch leckeren Inhalten wie Geräucherten, Bayrisches Leberkäs-Pfandl, Käsekrainer und hausgemachte Erdbeermarmelade auf uns. Wir sind aber eigentlich noch nicht am verhungern; ihr erinnert euch, daß wir in unseren letzen Reisebericht geschrieben haben ? seit Tagen gibt es nur Schwammerl?. Aber nun kommt wieder etwas Abwechslung in unseren Speiseplan. Nochmals vielen Dank, wir haben uns wirklich riesig gefreut. Unter anderem war auch das langersehnte neue Objektiv für meine Spiegelreflexkamera dabei, da mein altes bei einem Sturz bei einer Wanderung auf den Lofoten in mehrere Einzelteile zu Bruch ging.
Zur Verständigung bewegen wir uns mehr mit Händen und Füssen, als mit dem Mundwerk. Wir sprechen kein Finnisch und Elsa und Matti sprechen kein Deutsch oder Englisch. Bisher hatten wir es ja einigermaßen leicht, denn beim langsam Sprechen und beim zweiten Mal hinschauen erkennt man im Norwegischen und Schwedischen was gemeint ist. Die meisten Wörter klingen im Deutschen ähnlich und außerdem sprechen viele Norweger und Schweden Englisch. Aber beim Finnischen hat man nicht die geringste Chance. Das kann so nicht weiter gehen. Matti und Raimund fahren gemeinsam zur nächsten Buchhandlung und holen ein dickes Wörterbuch ?Suomi ? Saksa? (finnisch ? deutsch). Die Verständigung klappt nun so halbwegs. Später kommt noch der Pfarrer hinzu, der ebenfalls Matti heißt, und fungiert uns als Dolmetscher. Der Finne, der unser Alter haben dürfte, wurde in Tansania geboren und lebte eine Zeit lang mit seinen Eltern in Äthiopien. Er spricht fließend Englisch.
Das Heiligtum der Finnen, wie sollte es anders sein, ist die Sauna. So haben die meisten Häuser ihre eigene Sauna. Die Sauna hat hier eine andere Bedeutung als in Deutschland. Es ist der Ausdruck des finnischen Lebensgefühles. Es ist ein Ort für Gespräche und der Geselligkeit. Man sagt sogar, so mancher geschäftlicher Vertragsabschluß wurde erfolgreich in der Sauna getroffen. Die Tradition der Sauna reicht weit zurück und kein Finne käme auf die Idee, Regeln aufzustellen. Es ist egal wie lange man geht, wie hoch die Temperatur sein soll oder nach welchen Abständen man eine Ruhepause einlegen soll. Es gibt nur eine Regel und die lautet ? Jedem das was ihm gefällt. Es kommt auch schon mal vor, dass eine gesellige Schwitzgemeinschaft Würstchen auf dem Saunaofen grillt und Bier trinkt. Matti weiht uns in die Tradition des Saunakultes ein. So fahren wir am Nachmittag mit ihm in den Wald, schneiden Birkenzweige ab und binden diese ebenfalls mit einem Birkenzweig zu einer Birkenrute zusammen. Beim Saunagang am Abend schlagen wir uns dann damit auf den Rücken und die Oberschenkel damit sich die Poren der Haut zum Schwitzen besser öffnen.
Nächste Hürde. Gottesdienst am Sonntagmorgen. Während Matti das Sonntagsessen vorbereitet, besuchen wir mit Elsa den evangelischen Sonntagsgottesdienst der im allgemeinen ähnlich gestaltet wird wie bei uns zuhause. Wieder zurück, steigt uns der Duft des angebratenen Elchfleisches schon an der Haustüre in die Nasen. Es gibt Elchgeschnetzeltes, dazu Kartoffelpüree und Preiselbeeren. Zum Nachtisch gibt es eine Heidelbeer-Himmbeer-Erdbeer-Suppe. Es kommt nur frisches auf den Tisch, eben alles was der eigene Garten oder die umliegenden Wälder den Jahreszeiten entsprechend hergeben. Selbst die Kartoffeln sind aus Elsa und Mattis eigenem Garten. Da genügend Heidelbeeren wachsen, gibt es natürlich jeden Tag frischen Heidelbeersaft zu den Mahlzeiten. Elsa erzählt uns, dass sie über 100 Liter Heidelbeeren jedes Jahr sammeln und einmachen. 2003 hatten sie sogar ein Rekordjahr und ernteten über 160 Liter. Was im Hause Jussinniemi praktisch ist und wir noch in keinem Privathaushalt zuvor gesehen haben, ist der begehbare Kühlschrank. Hier lagern all die ganzen Schätze.
Im Moment ist Walderntezeit. Aus sämtlichen Waldwegen kommen Finnen welche gekonnt ihre Fahrräder mit übervollen weißen Plastikeimern balancieren. Das typische Merkmal in der Saison: tiefblaueFinger.
Auch die Supermarktregale in welchen normalerweise Unmengen von Zucker lagern, sind derzeit oft leer. Überall werden jetzt Waldfrüchte eingemacht. Der Winter ist lang und bis zur nächsten Ernte vergeht noch viel Zeit.
Matti bringt uns die Technik des Paddelns bei. Wir fahren zum Piipsjärvi (See bei Oulainen) setzen das Kanu ein und los geht?s mit dem Paddeln. Jeder dreht zuvor noch ein paar Runden mit Matti bevor dieser uns unserem Schicksal überlässt.
Wir sollen den See überqueren und Matti holt uns auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Auto wieder ab. Das war unsere Feuertaufe. Morgen fahren wir dann im Fluss. Ich hatte vor ein paar Jahren schon mal mit Amann Reinhard im Schwarzen Regen ( Bayrischen Wald ) Kanuerfahrung gesammelt oder er mit mir. Wir waren damals aber mehr unter als auf dem Wasser unterwegs. Na ja, die alte Geschichte lassen wir lieber. Vor ein paar Wochen sagte ein Schwede zu uns ? Ein guter Indianer paddelt lautlos, das Eintauchen des Paddels ins Wasser sollte geräuschlos erfolgen?. Aber bis dahin müssten wir noch viele viele Stunden paddeln. Jedoch sind uns bisher auch noch keine Indianer in Skandinavien begegnet (noch nicht !!!). Einen Tag später bringt uns Matti samt Kanu zu Pfarrer Matti. Pfarrer Matti ist für uns kein Unbekannter mehr, er diente uns als Dolmetscher bei unserer Ankunft bei Elsa und Matti. Pfarrer Matti und seine Familie leben am Pyhäjoki. Pyhä heißt auf Finnisch heilig und Joki, Fluss. Also am Heiligen Fluss. Die Bootsanlegestelle ist direkt auf seinem Grundstück. Es bläst ein heftiger Wind flussaufwärts, sodass dieser die Strömung des Flusses ausgleicht und unser Kanu fast bewegungslos im Wasser liegt. Wir paddeln bis wir hinter dem Schilf außer Sichtweite sind und lassen uns dann einfach vom Fluss treiben. Zurück am Bootssteg, empfängt uns Ruth, Pfarrer Mattis Frau, und bittet uns zum Kaffeetisch. Anschließend werden wir noch durch das Haus geführt, welches sie erst vor ein paar Jahren erworben haben. Davor waren sie Elsa und Mattis Nachbarn.
Ruth, eine Pfarrerstochter, erzählt uns, dass sie eigentlich nie einen Pfarrer heiraten wollte. Aber meist kommt es dann anders. Nun wohnen sie mit ihrer vierköpfigen Rasselbande (drei Töchter, einen Sohn) auf diesem idyllischen Fleckchen Erde. Ruths Großvater war bereits in der gleichen Gemeinde Pfarrer und wie sie erst vor kurzem erforschten stand sein Wohnhaus nur wenige Meter von ihrem heutigen Haus entfernt. Am Spätnachmittag fahren Matti und ich noch zur Kollektive und helfen Pfarrer Matti beim Umschlichten der Kleidersäcke, die die Pfarrgemeinde gesammelt hat und welche später in der 3.Welt Verwendung finden.
Vor zwei Jahren waren Elsa und Matti bei Liisa in München auf Besuch. Bei einem Ausflug zum Kloster Andechs bestellten sie sich Schweinebraten mit Knödel. Michaela, die ebenfalls auf diesem Ausflug mit war, erinnert sich, dass den beiden der Schweinebraten sehr gut schmeckte. So war die Idee geboren, dass ich bei unserem Besuch – als Mitbringsel sozusagen – für Elsa und Matti diese urbayrische Spezialität machen könnte, da ich zuhause auch immer für den Braten zuständig war. So kommt es dann auch.
Nur wie bekommen wir die Knödel bzw. den Knödelteig nach Finnland. In Finnland gibt es keinen Knödelteig. Also gibt es zwei Möglichkeiten. Mit der Post schicken lassen, wobei die Gefahr besteht, dass der Knödelteig die Reise nicht übersteht und sauer ankommt. Die zweite Möglichkeit, einen Knödelteig vor Ort machen. Dies ist aber sehr aufwendig und außerdem hatte ich zuvor noch nie einen Knödelteig selbst gemacht. Sicherheitshalber entscheiden wir uns für beide Varianten. Meine Mutter schickt uns frischen Knödelteig und gleichzeitig schreibt sie mir per E-Mail wie man richtigen Knödelteig anmacht. Zum Glück ist der Knödelteig noch frisch, als er ankommt. Der Rest ist Routine.
Fast eine Woche lang haben uns Elsa und Matti beherbergt. Morgen setzen wir unsere Reise fort und fahren in den äußersten Osten Finnland, nach Karelien weiter. Heute ist jedoch nochmals Sauna-Abend angesagt. Am Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück verabschieden wir uns dann. Matti geht noch mal in den Garten und bereitet ein weiteres ?Kehrpaket? für uns: frische Kartoffeln und Zwiebel.
Die nächsten Zeilen sind für Elsa und Matti:
? Mieluummin Elsa ja Matti, olemne viihtyneet täällä oikein hyvin.Oikein
paljon kiitoksia kaikesta.Toivottavasti tapaamme pain uudestaan?.
Wir haben bereits die dritte Augustwoche und die Sommerferien sind zu Ende. Seit einigen Tagen ist wieder Hochbetrieb an den Schulen.
Auf dem riesigen Areal des Campingplatzes stehen wir alleine. Die Atmosphäre ist schon fast gespenstisch. Einige Campingplätze haben sogar schon geschlossen. Es scheint auch die Natur hat den Sommer schon abgehakt. Die Tage werden kürzer und abends ist es erheblich kühler. Am Morgen sind meist die Innenscheiben unseres Buses mit Kondenswasser beschlagen und die Sonne hat ihre Mühe den Nebel über die Seen aufzulösen.
Weiter geht es nach Süden. Wir folgen dem Verlauf der finnisch-russischen Grenze bevor wir in das Saimaa- Seengebiet kommen. Die Landschaft besteht aus einem Wirrwarr von Seen, Seenbuchten, Inseln und Halbinseln.
Das Ganze ist von unzähligen Wäldern umrahmt. In diesem Labyrinth von Wäldern und Seen, verlieren wir den Überblick, wo der eine See anfängt und der andere aufhört.
Der Weg führt uns weiter über eine Landzunge mitten durch einen See. Urplötzlich hört die Straße auf und mündet im Wasser. Von Weiten sehen wir eine kleine Fähre auf uns zukommen. Mit dieser setzen wir auf die gegenüberliegende Insel über. Der Fährmann wohnt direkt an der Anlegestelle und wartet den ganzen Tag auf eine handvoll Autos um diese dann zur 500 m entfernten Insel überzusetzen. Und das täglich von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Wir finden einen wunderschönen Platz auf der Insel, am Waldrand gelegen mit Feuerstelle und Blick über den See. Auch die Waldgeister meinen es gut mit uns. Ringsum ist der Waldboden gesegnet mit Pilzen und Beeren. Ein Platz für die nächsten Tage.
Langsam nehmen wir Abschied von Finnland. Mit unseren Gedanken sind wir schon öfters mal in unserem nächsten Reiseland. Aber noch ist es nicht so weit. Vor uns liegen noch zweihundertfünfzig Kilometer bis Helsinki, wo wir von Pävi, einer Freundin von Liisa, am Abend eingeladen sind.
In Loviisa, einen kleinen Ort an der Südküste gehen wir noch mal auf den Markt. Und dann, es ist kaum zu Glauben, sehen wir doch noch einen Indianer in Skandinavien. Aber ob dieser die lautlose Kunst des Paddelns beherrscht, dass lassen wir mal dahingestellt.
Am Abend treffen wir bei Pävi ein. Wieder werden unsere Gaumen verwöhnt. Es gibt Quiche mit Rentierschinken-Füllung. Lecker! Lecker! Pevi räumt ihr Schlafzimmer für uns und schläft in der Küche, damit wir wieder mal in einem richtigen Bett schlafen können. Liebe Pävi ? Paljon kiitoksia!? Leider müssen wir das kuschelige Bett schon um 5.30 Uhr wieder verlassen um rechtzeitig am Pier im Helsinkier Westhafen zu sein, damit wir das Fährschiff nach Tallinn in Estland nicht verpassen.
Das Fährschiff verlässt pünktlich um 8.00 Uhr den Hafen.
Mit Wehmut schauen wir ein letztes Mal zurück. Trotz der Mückenplage waren es drei herrliche und erlebnisreiche Monate in Skandinavien. Unvergesslich wird uns immer die Schönheit der Natur bleiben und vor allem die Herzlichkeit der Menschen die hier leben!
Das nächste Mal melden wir uns aus den drei Baltenstaaten Estland, Litauen und Lettland, die sich vor 14 Jahren aus dem Völkergefängnis Sowjetunion befreit haben. Mal sehen was sich seitdem getan hat.
Bis Bald!
Michaela und Raimund